Detail der in der zweiten Episode gezeigten Karte (hier)
Catherine Riva, Serena Tinari – Re-Check.ch | Jannes van Roermund
November – Dezember 2021

In English (online) / En français (en ligne)

In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Enthüllungsjournalisten Jannes van Roermund hat Re-Check die Akteure rund um acht Pro-e-ID- und Pro-Covid-19-Zertifikate-Initiativen genauer untersucht, sowie die Interessen, die sie miteinander verbinden.

Zu den Akteuren, die wir aufzeigen konnten, gehören Stiftungen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, Beratungsunternehmen, Technologiegiganten (Big Tech), aber auch Universitätsspitäler, Vertreter des eHealth-Bereichs und eine Vielzahl von Unternehmen, die im Bereich der digitalen Identitätslösungen, biometrischen Daten und Technologien wie Blockchain tätig sind – die Liste ist nicht vollständig. Unsere Karte macht einen umfangreichen Lobbyismus-Apparat sichtbar, der aufgestellt wurde, um den Übergang zur e-ID auf möglichst globaler Ebene zu erleichtern.

Die hier gezeigte Bestandsaufnahme ist nicht umfassend. Dieses komplexe Geflecht aus Aushängeschildern und supranationalen Initiativen wird von Giganten des globalen Kapitalismus, Banken, Kreditinstituten, Zentralbanken, Regierungsbehörden, Vertragsunternehmen, Stiftungen von Milliardären und einer Unzahl von Unternehmen getragen. Da wir es weiter erforschen werden, werden wir diese Karte wahrscheinlich anpassen müssen.

Bereits in diesem Stadium deuten die Ergebnisse unserer Recherche darauf hin, dass multilaterale und totalisierende Strategien eingesetzt wurden, um die sozialen Determinanten des Werts dieser neuartigen Massnahme, der Covid-19-Zertifikate, zu gestalten. Die sozialen Determinanten des Werts betreffen die sozialen Strukturen und Praktiken, Denkmuster, Kenntnisse, Wünsche und politischen Entscheidungen, die den Wert eines Produkts bestimmen. Das Aufkommen von Covid-19-Zertifikaten hat in dieser Hinsicht ganz offensichtlich tiefgreifende Auswirkungen gehabt.

Die Arbeiten von Marc-André Gagnon und Sergio Sismondo zeigen, dass die Produktion von sozialen Determinanten des Wertes im Zentrum der Praktiken der politischen Ökonomie (Ghost-Management) im biopharmazeutischen Sektor steht. Wir postulieren, dass ähnliche Strategien im Fall der Covid-19-Zertifikate und der e-ID angewandt wurden und dass es daher sinnvoll ist, das Analyseraster des «Ghost-Managements» anzuwenden, um die aktuellen Ereignisse zu verstehen. Diese sind im Zuge einer als Gesundheitskrise dargestellten Krise entstanden, aber sie betreffen heute andere Aspekte des gesellschaftlichen Lebens. Dieser Forschungsansatz sollte es insbesondere ermöglichen, die unterschiedlichen Kaperungen zu identifizieren, die durch dieses Ghost-Management vorgenommen wurden.

In den kommenden Monaten werden wir die Gültigkeit dieser Hypothese überprüfen.

Anmerkungen

Diese Karte zeigt die Akteure, die sich um acht Initiativen drehen, sowie die Interessen, die sie mit diesen Projekten verbinden:

  • Identification for Development (ID4D)
  • Known Traveller Digital Identity (KTDI)
  • ID2020 Alliance
  • Covid Credentials Initiative
  • Good Health Pass
  • Vaccine Credential Initiative (VCI)
  • Covid-19 Coalition
  • Good ID

Ihre gemeinsamen Nenner:

  • Sie befinden sich an der Schnittstelle zwischen der Einführung von Covid-19-QR-Codes und der Implementierung von e-ID-Systemen.
  • Sie artikulieren ihre Aktionen um die gleiche Botschaft: Der digitale Wandel ist unvermeidlich und wünschenswert; Die Covid-19-Krise ist als Gelegenheitsfenster zu sehen und wird die Einführung von e-ID und des Ökosystems, das die e-ID ermöglicht, beschleunigen.

Drei Initiativen (ID4D, KTDI und ID2020 Alliance) wurden bereits vor der Covid-19-Krise ins Leben gerufen. Sie haben einige ihrer Prioritäten mit dem Ausbruch der Covid-Krise neu ausgerichtet.

Fünf Initiativen (Covid Credentials Initiative, Good Health Pass, Vaccine Credential Initiative, Covid-19 Coalition und Good ID Initiative) wurden als Reaktion auf die Krise ins Leben gerufen, um Lösungen zur Bewältigung der Krise zu generieren.

Bei allen handelt es sich um öffentlich-private Partnerschaften, ausser Covid Credential Initiative und Good ID (Omidyar Network).

Einige von ihnen haben nur eine begrenzte Anzahl von Mitgliedern. Andere hingegen haben mehrere Dutzende oder sogar mehrere Hundert Mitglieder. Die in dieser Karte dargestellten Listen sind daher nicht vollständig.

Zu den beteiligten Akteuren gehören Stiftungen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, Beratungsunternehmen, Technologiegiganten (Big Tech), aber auch Universitätskliniken, Vertreter der eHealth-Branche und eine Vielzahl von Unternehmen, die im Bereich digitale Identitätslösungen, biometrische Daten und Technologien wie Blockchain tätig sind (die Liste ist nicht vollständig). Viele dieser Akteure gehören zu dem, was Privacy International als «e-ID-Industrie» bezeichnet.

Die Pfeile zwischen den verschiedenen Akteuren sollten nicht als Beweis dafür interpretiert werden, dass «jemand die Fäden zieht». Sie stellen lediglich Interessenverbindungen dar, die wir aufzeigen konnten. Ihre Zahl zeugt von der Grösse der Anstrengungen und der Herausforderungen, die in finanzieller Hinsicht, aber auch in Bezug auf die Kontrolle auf dem Spiel stehen. Für das kommende Jahrzehnt wird das Potenzial des globalen Marktes für digitale Identitätslösungen auf mehrere zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. «Im Post-COVID-19-Szenario wird der globale Markt für digitale Identitätslösungen voraussichtlich von 23,3 Mrd. USD im Jahr 2021 auf 49,5 Mrd. USD im Jahr 2026 anwachsen und dabei eine jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 16,2% im Zeitraum von 2021 bis 2026 verzeichnen. Das Wachstum des Marktes ist auf die Zunahme von Identitätsbetrug und Datenschutzverletzungen sowie auf die Notwendigkeit der Einhaltung verschiedener anstehender Vorschriften zurückzuführen.»
MarketsandMarkets, Juli 2021

ID2020 ist der einflussreichste Akteur. Diese Denkfabrik wurde lange vor der Covid-19-Krise u. a. von der Gavi Vaccine Alliance gegründet, die den Zugang zu Impfungen weltweit verbessern will. Zu den weiteren Gründungsvätern gehören die philanthropische Rockefeller Foundation, das Beratungsunternehmen Accenture, der Tech-Gigant Microsoft und das relativ unbekannte Beratungsunternehmen IDEO.

Inzwischen haben sich weitere Unternehmen ID2020 angeschlossen, darunter Mastercard, Facebook und das biometrische Start-up-Unternehmen Simprints. Die Denkfabrik beherbergt einige der grössten Akteure», sagt Alexandrine Pirlot de Corbion von Privacy International. «Sie haben einen enormen Marktanteil bei verschiedenen Aspekten der digitalen Identität».

Mehr als 125 Unternehmen, Institutionen und Regierungsorganisationen haben sich in der Good Health Pass Collaborative zusammengeschlossen, die einen globalen Standard für Covid-19-Zertifikate anstrebt. Viele Unternehmen mit biometrischen Produkten wie Gesichtserkennungstechnologien sind angeschlossen. ID2020 ist der Koordinator. Aus der jüngsten Pressemitteilung der Good Health Pass Collaborative geht hervor, welche Technologie als bon ton gilt: Alle wollen Blockchain.

Unter den Befürwortern des Covid-19-Zertifikats lassen sich fast immer Querverbindungen zur Wirtschaft finden.

Zu den wichtigsten Akteuren gehören Microsoft, das das Thema Identität «ganz oben auf seiner Agenda» hat und über ein sehr umfangreiches Lobby-Netzwerk verfügt; Mastercard, das 2018 eine «strategische Partnerschaft» mit Microsoft eingegangen ist und in Afrika bereits mit der Verknüpfung von Impfstatus, biometrischen Daten und Zahlungsoptionen experimentiert; und IBM, das in Deutschland an der auf Blockchain basierender QR-Code Covid-19-Lösung mitgearbeitet hat.

Interessant ist auch die Rolle von Non-Profit-Organisationen wie der Bill & Melinda Gates Foundation, dem Omidyar Network und der Rockefeller Foundation, die oft als Geldgeber auftreten und damit den Zorn von Verschwörungstheoretikern auf sich zuziehen. Gleichzeitig werden sie von seriösen Journalisten und Wissenschaftlern selten kritisch hinterfragt.

Multinationale Unternehmen rufen fast nie in ihrem eigenen Namen prominent zu einem «Coronapass» auf.

Oft gehen diese Aufrufe an Stiftungen, Think Tanks und Koalitionen wie die Trust Over IP Foundation, das Commons Project, das Tony Blair Institute for Global Change, das Centre for Global Development und die Vaccination Credential Initiative, die fast ausnahmslos Partner aus der «Big Tech»- oder «Big NGO»”-Ecke haben. «Sie treiben diese Agenda voran, weil sie Produkte zu verkaufen haben», sagt Pirlot de Corbion von Privacy International. «Sie sind entweder in Dienstleistungen, Infrastrukturen oder den Zugang zu Infrastrukturen involviert.»